Soziale Teilhabe

Von Tihomir Žiljak

Teilhabe an der Gesellschaft ist für beide Seiten notwendig, für Individuum und Gesellschaft. Isolierte, ausgeschlossene Menschen erfüllen ihre menschlichen Grundbedürfnisse und Möglichkeiten nicht. Ohne die Teilhabe von Individuen kann die Gesellschaft keine sinnvollen allgemeinen Ziele planen und in die Wirklichkeit umsetzen, und es wird unmöglich, Interessen auszubalancieren und allgemein gültige Werte zu definieren. Einer Gesellschaft, die manche soziale Gruppen ausschließt, fehlen konstituierende Teile.

Oft überschneiden sich die Bereiche: Soziales Engagement, soziale Verbundenheit, soziales Kapital, soziale Unterstützung, soziales Netz, soziale Integration und Einsatz für die Gemeinschaft wurden zuweilen wechselnd für „soziale Teilhabe“ verwendet (Levasseur, M., Richard, L., Gauvin, L., & Raymond, É., 2010). Soziale Teilhabe kann zudem in einem engeren und einem weiteren Sinn verstanden werden. Im engeren Sinn ist soziale Teilhabe nur eine der Formen von Teilhabe, zusätzlich zur politischen, kulturellen oder beruflichen Teilhabe. Im weiteren Sinn ist sie ein Begriff, der alle diese Formen der Teilhabe im politischen Leben, in kulturellen Aktivitäten sowie in bezahlter und unbezahlter Arbeit umfasst. Da die Teilhabe an unterschiedlichen Aktivitäten sich wechselseitig durchdringt und voneinander abhängt, genau wie die grundlegenden Merkmale dieser Aktivitäten, schlage ich vor, lieber die breitere Definition zu verwenden.

Teilhabe geht von zwei Voraussetzungen aus: Soziale Interaktion und die Gegenwart anderer. Diese Größen sind von besonderem Interesse für alle, die sich beruflich mit Randgruppen oder sozial benachteiligten Gruppen befassen. Das bezieht sich auf Menschen mit Behinderungen, Menschen, die in Armut oder Langzeitarbeitslosigkeit leben und andere. Es besteht ein besonderes Interesse an der Teilhabe älterer Menschen in der Gesellschaft. Das Konzept des aktiven Alterns geht davon aus, dass ältere Menschen aktiv sind, und Aktivität beinhaltet die Teilhabe an verschiedenen sozialen Aktivitäten.

Die Agenda der Europäischen Union für das aktive Altern wurde im Europäischen Jahr für das aktive Altern und die Solidarität zwischen den Generationen 2012 (EY 2012) aufgestellt. Das EY 2012 zielte darauf ab, das Bewusstsein für eine alternde Gesellschaft zu schärfen und positive Lösungen für die Herausforderungen, die diese mit sich bringt, zu finden. Dazu gehört die Teilhabe älterer Menschen. Es handelt sich um einen Prozess der Bündelung politischen Handelns zur Förderung aktiven Alterns im Sinne eines Mainstreamings.

Auf globaler Ebene wurden die entscheidenden Weichen beim „Madrider Internationalen Aktionsplan für das Altern“ der Vereinten Nationen (MIPAA 2002) gestellt. Sie wurden von der Europäischen Kommission und der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) durch die Regionale Implementationsstrategie (RIS) in Europa implementiert. Die Ministerialdeklaration von Wien im September 2012 nennt vier Hauptziele für die UNECE-Länder, die zum Ende der dritten Implementationsperiode von MIPAA/RIS (2017) erreicht werden sollen.

Als Schlüsselaktivitäten nennt die Deklaration

  • das Propagieren, Ermutigen und die gesteigerte Anwendung verlängerter Lebensarbeitszeiten; die Teilhabe, die Verhinderung von Diskriminierung und die soziale Inklusion älterer Menschen;
  • Würde, Gesundheit und Unabhängigkeit in höherem Lebensalter;
  • intergenerationelle Solidarität.

Der Europäischen Kommission und der UNECE zufolge geht aktives Altern „als politischer Diskurs, auf der Basis des Gebrauch-Machens vom Potenzial älterer Menschen, Hand in Hand mit einem Ansatz von sozialer Investition. Im Zentrum der sozialen Investition steht die Idee, dass die Aktivierung sozialpolitischer Handlungen sich ökonomisch und sozial stark auszahlt.“ (2013)

Eine der statistischen Beobachtungsmöglichkeiten des aktiven Alterns ist der „Active Ageing Index“ (AAI), der am Ende von EY2012 gestartet wurde. „Der Active Ageing Index ist ein neues Analysewerkzeug, das zum Ziel hat, politische Akteure beim Entwickeln politischer Handlungen für das aktive und gesunde Altern zu unterstützen. Sein Ziel ist, bislang ungenutzte Potenziale älterer Menschen für eine aktive Teilhabe an Erwerbsarbeit und am sozialen Leben sowie für unabhängiges Leben aufzuzeigen“ (UNECE 2013).

Um das multidimensonale Konzept des Alterns sichtbar zu machen, baut der AAI auf vier verschiedenen Bereichen auf. Jeder Bereich steht für einen Aspekt des aktiven und gesunden Alterns. Der erste Bereich ist die Erwerbstätigkeit (Erwerbstätigkeitsrate von 55 bis 74 Jahren). Der zweite Bereich umfasst freiwillige Tätigkeiten, etwa die Sorge für Kinder und Enkelkinder, die Pflege anderer älterer Menschen, politische Teilhabe. Ältere Bürger können ihre politische Erfahrung mit unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe, mit sozio-ökonomischen Situationen und auch mit sozialem Engagement jeweils mit jüngeren Generationen teilen (Goerres, Achim (2009). Der dritte Bereich ist Unabhängigkeit, Sicherheit und gesundes Leben. Es ist sehr wichtig, dass dieser Index auch die jeweiligen Kapazitäten, die für das aktive Altern bereitstehen, enthält (Nutzung von IT- und Computertechnik, Bildungsanstrengungen, soziale Einbindung.)

Diese Dokumente und dieser neue politische Diskurs zeigen, dass das aktive Altern, als wichtiger Bestandteil der europäischen Strategie, nicht ohne die Teilhabe älterer Menschen an der Gesellschaft gedacht werden kann. In diesen Dolumenten ist das normative Konzept des aktiven Alterns deutlich sichtbar: Was soll in der Gesellschaft unternommen werden, um Ältere zu aktivieren? Die Teilhabe hat vielfältige Dimensionen im realen Leben. Die erste bezieht sich auf die Teilhabenden der Teilhabe: Wer alles hat Teil, und wer nimmt an dem gesamten Prozess teil? Obwohl die älteren Menschen als Gruppe betrachtet werden, ist Teilhabe doch ein individueller Prozess jedes einzelnen Menschen mit seinen/ihren eigenen Motiven, Fähigkeiten und Interessen. In ähnlicher Weise kann Teilhabe auch als Inklusion und Aktivität von Gruppen oder als Zusammenarbeit mit anderen Individuen analysiert werden. So kann Teilhabe auch einen formellen oder informellen Charakter aufweisen.

Die Gebiete, auf denen Teilhabe stattfindet, sind sehr unterschiedlich. Sie können Informationen über die Aktivitäten anderer enthalten. Die Gegenwart anderer Menschen bedeutet nicht notwendigerweise eine totale soziale Interaktion, wie Bob Dylan es in „I Shall be Released“ ausdrückte: „Neben mir in dieser einsamen Menschenmenge / steht ein Mann, der schwört, dass er nicht schuld ist.“ Einfache Kontakte zu Nachbarn sind eine weitere bedeutende Form der Teilhabe, besonders im Wohnbezirk. Kleine Unterhaltungen (beispielsweise beim Spaziergang mit dem Hund) sind wichtig, um gegenseitiges Vertrauen und den Zusammenhalt der Nachbarschaft zu stärken. Eine höhere Form der Teilhabe ist die Teilnahme an informellen gemeinsamen Aktivitäten, bei denen es ein gemeinsames Ziel gibt. Noch einen Schritt weiter geht sie, wenn organisierte Teilnahme und eine formale Mitgliedschaft im Spiel sind. Das können unterschiedliche Arten von Teilhabe sein wie Nachbarschaftshilfe, eine religiöse oder politische Organisation und Ähnliches.

Solche Aktivitäten sind auf verschiedenen Gebieten möglich: Bezahlte oder unbezahlte Arbeit, Freiwilligendienste, Aktivitäten in der Gemeinde, in Freizeitleben, Kultur und Sport, im Alltagsleben innerhalb der jeweiligen sozialen Rolle, etwa im Familienleben. Diese Aktivitäten können auf unterschiedlichen Ebenen in der Familie, der Nachbarschaft, der eigenen Gemeinde, auf nationaler, regionaler, europäischer oder globaler Ebene. Mangelnde Mobilität ist oft ein Hindernis für die Teilhabe älterer Menschen an der Gemeinschaft, doch die modernen Verkehrsmittel und die Entwicklung von IT- und Computertechnik sorgen dafür, dass Teilhabe nicht notwendigerweise auf das unmittelbare soziale Umfeld beschränkt bleiben muss und dass räumliche Entfernung nicht mehr so hinderlich wie in früheren Zeiten ist.

Wie sieht der Nutzen dieser Aktivitäten jeweils für das Individuum und für die Gesellschaft aus? Teilhabe bewahrt und entwickelt die Fähigkeiten des Einzelnen (Sen, 2001). Sie fördert die Fähigkeit, Ressourcen in nützliche Tätigkeiten zu verwandeln und in höherem Maß Glück zu erleben. Diese Fähigkeiten sind für die Gesellschaft wichtig, denn sie umfassen das Bewusstsein für die Verteilung von Entfaltungsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft. Nach Martha Nussbaum handelt es sich um eine Form „substantivischer Freiheiten“ – die Fähigkeit, bis ins hohe Alter zu leben, an wirtschaftlichen Transaktionen beteiligt zu sein oder an politischen Handlungen teilzunehmen.

Sich eingliedern können ist eine der zentralen Fähigkeiten: „Mit anderen und anderen zugewandt leben zu können, andere Menschen anzuerkennen und sich um sie zu sorgen, sich in vielerlei Formen sozialer Interaktion zu engagieren, sich in die Situation anderer einfühlen zu können. Das soziale Grundgefühl von Selbstwert und Würde zu besitzen, fähig zu sein, sich als würdiges Wesen behandeln zu lassen, dessen Wert dem von anderen gleich ist. Das hat zur Folge, dass Diskriminierung aufgrund von „Rasse“, Geschlecht, sexueller Orientierung, Ethnie, Kaste, Religion, Ursprungsnationalität und besonderer Eigenschaften nachhaltig vermieden wird.“ (Nussbaum, 2011: 34).

Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass Teilhabe wichtig für das Selbstwertgefühl des Einzelnen, für seine geistige und physische Gesundheit, für ein sinnerfülltes Leben, für Wohlbefinden und Glück ist. Andererseits kann ohne die Teilhabe von Individuen kein zivilgesellschaftliches und politisches Leben ausgebaut werden. Ausgeschlossene, isolierte und passive Bürger können keine Bürger Europas sein, die für nachhaltige Entwicklung auf lokaler, nationaler, regionaler oder europäischer Ebene sorgen. Ihre Fähigkeiten müssen ständig weiterentwickelt und gestärkt werden, und das Wissen und die Erfahrung Älterer sind sehr nützlich in diesem Lern- und Erfahrungsprozess. Sie können neues Wissen erwerben, doch auch ihr Wissen und ihre Erfahrung nutzen, andere Mitglieder der Gemeinschaft zu unterstützen.

Literatur:
Goerres, Achim (2009). The Political Participation of Older People. in Europe: The Greying of Our Democracies.  Basingstoke: Palgrave Macmillan.

European Commission (2012) European Year for Active Ageing and Solidarity between Generations /downloaded 1/2/2015 from http://ec.europa.eu/archives/ey2012/
European Commission & UN Economic Commission for Europe (2013) Introducing the Active Ageing Index. Policy Brief March 2013.

Levasseur, M., Richard, L., Gauvin, L., & Raymond, É. (2010). Inventory and Analysis of Definitions of Social Participation Found in the Aging Literature: Proposed Taxonomy of Social Activities. Social Science & Medicine (1982),71(12), 2141–2149.

Nussbaum Martha C. (2011). Creating Capabilities: The Human Development Approach, Cambridge. MA: Belknap/Harvard University Press.

Sen, Amartya (2001). Development as Freedom. Oxford: Oxford University Press

Tihomir Žiljak, Leiter des Bereichs Lebenslanges Lernen, Entwicklung und EU-Projekte, Public Open University Zagreb, Assistenzprofessor der Politologie, Universität Zagreb, Kroatien, Vorstandsmitglied DANET.